Jo im Talk mit Erika Ullmann-Biller

Erika Ullmann-Biller ist Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft der Hauptschwerbehindertenvertretung Polizei beim Ministerium des Innern des Landes NRW“. Darüber hinaus ist sie die Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Polizei des Landes NRW, Mitglied im Beratenden Ausschuss des LVR, Mitglied im „Arbeitskreis Behinderte“ beim DGB, um nur einige Tätigkeiten zu nennen. Ihre Aufgabe ist es, das Bewusstsein für die Bedürfnisse schwerbehinderter Menschen im Beschäftigungsverhältnis zu schärfen, deren positives Leistungsvermögen herauszustellen, Benachteiligungen und Vorbehalte abzubauen und die Inklusion der Menschen mit Behinderung zu stärken. Im Talk mit Jo spricht sie über ihre Aufgaben, redet über Inklusion in der Polizei und ihrer Tätigkeit in der Polizeistiftung des Landes NRW. Außerdem verrät sie dem Leser ihr Lieblingsgericht.

Frau Ullmann-Biller, Sie sind die Vorsitzende der AGSV Polizei NRW. Würden Sie sich dem Leser bitte kurz vorstellen?

Ich bin 59 Jahre alt, habe einen Sohn und lebe seit vielen Jahren in einer festen Lebenspartnerschaft. Geboren bin ich in Amorbach, groß geworden bin ich in der Gemeinde Kirchzell, ein kleiner hübscher Ort im Odenwald. Dort leben auch noch meine Eltern. 1982 verschlug es mich mit meinem Sohn ins Rheinland. Ich bin bis heute geblieben und habe hier meinen Lebensmittelpunkt gefunden. Seit 1991 bin ich bei Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen beschäftigt.

Was bedeutet die Bezeichnung AGSV Polizei NRW?

Dahinter steckt ein Zusammenschluss der fünfzig nordrheinwestfälischen Schwerbehindertenvertretungen der Polizeibehörden. Gemeinsam setzen wir uns für die Belange der Menschen mit Behinderungen in der Polizei ein. Unser Bestreben ist es, durch gute und wirkungsvolle Netzwerkarbeit zu erreichen, dass die Politik sich intensiver um Inklusion bemüht. Wir mischen uns da ein, wo es politisch angezeigt ist.

Gibt es ein Team, welches Sie bei Ihrer Arbeit unterstützt?

Ja. Alleine könnte ich die Vielfalt der Aufgaben in einem so großen Land mit 50 Polizeibehörden nicht bewältigen. Es gibt sozusagen verschiedene Resorts, die natürlich auch entsprechendes Fachwissen voraussetzen. Dies kann man alleine schlecht meistern. Mein Team besteht aus fünf weiteren Stellvertreter/innen und einem blinden Mitarbeiter, der uns bei den vielen administrativen Dingen unterstützt. Ich denke, ich habe ein gutes Team und unser Motto lautet: „Gemeinsam gelingt mehr“.

Bei der Polizei gibt es strenge Einstellungsbedingungen. Können sich auch behinderte Menschen bei der Polizei bewerben?

Ja, das stimmt. Polizisten und Polizistinnen müssen hohe gesundheitliche Anforderungen erfüllen. Das bringt der Beruf mit sich. Es gibt allerdings auch bei der Polizei viele Aufgaben, die nicht von Beamten/innen wahrgenommen werden. Hier unterstützen viele Zivilbeschäftigte. Die Polizei NRW beschäftigt mittlerweile über 3000 Menschen mit Behinderungen in den verschiedensten Aufgaben.

In welchen Polizeibereichen arbeiten Menschen mit Behinderung?

In fast allen Bereichen. Wir sind ein Spiegelbild der Gesellschaft, daher gibt es auch Polizisten/innen, die während ihrer Dienstzeit eine Behinderung erfahren haben. Menschen mit Behinderung arbeiten im IT-Bereich, der Logistik, der Verwaltung und Sachbearbeitung, im Verkehrssektor oder in der Kriminalitätsbekämpfung. Es gibt kaum einen Bereich, wo nicht auch Menschen mit Behinderungen eingesetzt werden. Wir sind auf dem Weg, noch mehr Menschen mit Behinderungen innerhalb der Polizei eine Beschäftigung anzubieten.

Um welche Themen kümmert sich die AGSV Polizei NRW?

Die AGSV Polizei NRW fördert die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in die Dienststellen der Polizei, unterstützt die örtlichen Schwerbehindertenvertretungen in den Dienststellen und steht ihnen beratend und helfend zur Seite. Sie erfüllt insbesondere ihre Aufgaben dadurch, dass sie darüber wacht, dass die gesetzlichen Bestimmungen, Verordnungen, Vereinbarungen und Verträge eingehalten werden, insbesondere die dem Arbeitgeber daraus obliegenden Verpflichtungen und Maßnahmen, die den schwerbehinderten Menschen dienen, vor allem präventive Maßnahmen. Die AGSV beantragt bei den zuständigen Stellen mögliche Hilfen, nimmt Anregungen und Beschwerden von schwerbehinderten Menschen entgegen und, falls sie berechtigt erscheinen, wirkt sie durch Verhandlung mit dem Arbeitgeber auf eine Erledigung hin.

Gibt es bei der Polizei NRW Inklusion?

Ja wir sind auf einem guten Weg. Es wurde schon einiges erreicht, aber es gibt auch noch viel zu tun. Mittlerweile wurden zwei Rahmeninklusionsvereinbarungen mit dem Innenministerium vereinbart, die für alle Polizeibehörden gelten. Inhalte sind beispielsweise die barrierefreie Gestaltung der IT-Landschaft, feste Regelungen zur Telearbeit, eine behindertengerechte Arbeitsplatzgestaltung oder eine Befreiung von Mehrdienst, um die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderung in den Behörden zu verbessern. Zudem
Wurde eine verbindliche Vereinbarung mit dem Inhalt geschaffen, dass alle Neubaumaßnahmen einen festgeschriebenen Standard an Barrierefreiheit berücksichtigen müssen. Unser zentrales Motto lautet „Polizei NRW – auf dem Weg zu Inklusion“. Dafür sind wir bereits vom Bund-Verlag ausgezeichnet worden.

Was unterscheidet Sie von einer Gewerkschaft oder einem Betriebsrat?

Ganz einfach auf den Punkt gebracht. Wir kümmern uns um alle Mitarbeiter, die unsere Unterstützung benötigen. Wir verlangen keine Mitgliedschaft oder Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft. Zudem sind wir gewerkschaftlich und politisch neutral. Unsere Aufgabe ist es, Menschen zu unterstützen, die von Behinderung bedroht sind oder bereits eine Behinderung haben.

Gibt es auch die Möglichkeit, die örtlichen Schwerbehindertenvertretungen fortzubilden?

Ja. Das machen wir auch regelmäßig, nur in diesem Jahr ist es wegen der Corona-Pandemie leider nicht möglich. Gewöhnlich werden gemeinsam mit dem Inklusionsamt fachspezifische Fortbildungen sowohl für die Schwerbehindertenvertretungen als auch für die Inklusionsbeauftragten der Polizeibehörden jährlich angeboten und durchgeführt.

Gibt es auch einen Zusammenschluss dieser Arbeitsgemeinschaften auf Bundesebene?

Ja. Alle Hauptschwerbehindertenvertretungen der Polizei aus den Bundesländern, BKA und Bundespolizei sind in diesem Zusammenschluss vertreten.

Kann sich jeder behinderte Mensch an sie wenden?

Ja sicher, wir versuchen immer zu helfen, wenn es möglich ist. Menschen mit Behinderungen können sich aber auch an die Landesbehindertenbeauftragte in NRW wenden. Auch dort gibt es die nötige Unterstützung.

Gibt es auch einen Zusammenschluss dieser Arbeitsgemeinschaften auf Bundesebene?

Ja. Alle Hauptschwerbehindertenvertretungen der Polizei aus den Bundesländern, BKA und Bundespolizei sind in diesem Zusammenschluss vertreten.

Was ist die Aufgabe der AGSV Polizei Bund Länder?

Die Gesamtbelange behinderter Menschen in der Polizei auf Bundesebene präsent zu machen, bundespolitisch Einfluss auf gesetzliche Regelungen zu nehmen sowie Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Die Polizeien auf Bundesebene beschäftigten mehr als 18.000 Menschen mit Behinderungen.

Wie gestalten Sie Ihre Arbeit während der Corona-Pandemie?

Es ist nicht einfach, weil unsere gesamten Präsenzveranstaltungen nicht möglich sind und vieles in Video- oder Telefonkonferenzen erledigt werden muss. Zudem gehören natürlich auch schwerbehinderte Beschäftigte oftmals zu den Risikogruppen. Daher sind hier spezielle Regelungen und Beschäftigungsmöglichkeiten wichtiger denn je. Es fehlt definitiv der persönliche Kontakt, denn wie es einem Menschen wirklich geht, kann man nur erfahren, wenn man sich trifft und sich austauscht. Ein Telefonat ersetzt dies nicht immer. Aber es ist nicht zu ändern und wir machen das Beste daraus. Manchmal gibt es Tage, da habe ich den Akku meines Telefons mehrmals am Tag leertelefoniert, weil Unterstützung und Zuspruch aus vielen Bereichen benötigt wurde.

Sie arbeiten auch aktiv in der Polizeistiftung. Erzählen Sie dem Leser davon.

Ja. Ich bin schon einige Jahre Vorstandsmitglied in dieser Stiftung. Sie finanziert sich ausschließlich von Spenden und sonstigen Zuwendungen. Diese Gelder sind zweckgebunden und dürfen nur den im Dienst schwer verletzten, traumatisierten oder getöteten Polizeibeschäftigten und deren Angehörige zugutekommen. Die Stiftung hat in diesen Fällen die Möglichkeit, je nach Sachverhalt finanziell zu unterstützen. Jeder Einzelfall wird durch den Vorstand geprüft und jede Maßnahme gemeinsam beschlossen. Der Vorstand setzt sich aus Beschäftigten der drei Gewerkschaften in der Polizei NRW zusammen und besteht aus fünf Mitgliedern. Die Stiftung unterliegt dem Stiftungsrecht NRW.

Es gibt in einer Polizeieinrichtung des Landes NRW eine Gedenkstätte „Der Wächter“ und in Waldbröl ein Erholungsheim „das Alte Forsthaus“. Was bedeuten diese Orte?

Diese beiden Orte wurden durch die Polizeistiftung geschaffen. „Der Wächter“ ist ein Mahnmal zum Gedenken, der vielen getöteten Polizist/innen aus NRW. Jedes Jahr findet hier eine zentrale Gedenkfeier statt. "Niemand" soll vergessen werden. Die Polizeistiftung hat vor einigen Jahren dieses Kunstwerk bei dem Beuys-Schüler „Anatol“ in Auftrag gegeben und es dem Land NRW als Geschenk überreicht. Diese Gedenkstätte wurde aus Spenden finanziert.
Das "Alte Forsthaus“ in Waldbröl hat die Stiftung vom Land NRW erworben und liebevoll umgebaut und gestaltet. Eine wunderschöne „Villa“, eingebettet in eine Umgebung, die zum Erholen perfekt geeignet ist. Ich durfte an der gesamten Bauphase teilhaben und mitgestalten und dafür sorgen, dass ein gemütliches Ambiente geschaffen wurde. Darauf bin ich ganz besonders stolz. Dieses Erholungsheim wird Beschäftigten der Polizei nach schwierigen und gesundheitlich sehr belastenden Ereignissen zur Erholung zur Verfügung gestellt. Dort sind vier hübsch und sehr komfortabel eingerichtete (auch barrierefreie) Wohnungen vorhanden, die keine Wünsche offenlassen. Betroffene können sich dort mit ihren Familien auf Kosten der Polizeistiftung erholen. Mehr darüber kann man auf unsere Homepage www.polizeistiftung-nrw.de erfahren. Natürlich freut sich die Polizeistiftung auch über jede Spende.

Was sind Ihre Pläne für die nächsten Jahre?

Bevor ich in den Ruhestand gehe, möchte ich in der Polizei das Thema „Inklusion“ so platziert haben, dass „es normal ist, verschieden zu sein“, wie es Richard von Weizsäcker so treffend formulierte. Und natürlich habe ich die Absicht, gesund zu bleiben und meinen Ruhestand zu genießen.

Welche Werte sind für Sie wichtig?

Ehrlichkeit auch wenn die Wahrheit mal wehtun mag, Vertrauen, Loyalität und Verlässlichkeit. Ich hasse Unzuverlässigkeit.

Was ist Ihre Lebensphilosophie?

Geht nicht, gibt es nicht und der Rat, den mein Vater mir mit auf meinen Weg gab lautete: „Bleib wie du bist!“.

Ihr Terminkalender ist voll mit Terminen. Haben Sie noch Zeit für private Aktivitäten?

Oh ja. Das muss auch sein – natürlich nutze ich meine Freizeit auch einfach nur zum Faulenzen, genieße meinen kleinen Garten, besuche gerne meine Heimat und meine dort lebende Familie, gehe wenigstens einmal die Woche gerne in die Sauna, lese gerne einfach nur kurzweiliges oder Krimis. Aber ich reise auch gerne, um Neues kennenzulernen.

Was sind die drei Dinge, die mit auf die Insel müssen?

Meinen Lebenspartner, meinen Sohn und seine kleine Familie und viele, viele, viele Bücher in Papierform. Denn nur so macht Lesen für mich Laune.

Würden Sie mir Ihr Lieblingsgericht und das Rezept dazu verraten?

Ein besonderes Lieblingsgericht habe ich nicht, da ich viele Rezepte einfach gerne ausprobiere. Es gibt aber immer noch Dinge, die man als Kind so gerne aß und immer noch im Kopf sind, weil die Mutter es  mit viel Liebe lecker zubereitet hat. Das waren bei vier Geschwistern auch schon einmal ganz einfache Gerichte, aber sie sind im Kopf und Geschmack geblieben. Wenn ich Zeit hatte, habe ich sie auch schon zubereitet. Ein Lieblingsgericht war „Arme Ritter“. Bei uns hieß es „Weckschmörli“.

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