Zehn Jahre Fall Mirco

Hintergründe

Der gewaltsame Tod des damals zehnjährigen Jungen aus Grefrath am Niederrhein jährt sich am Donnerstag, 3. September 2020, zum zehnten Mal. Aus einer Vermisstensache wurde eine der aufwendigsten Mordermittlungen in der deutschen Kriminalgeschichte und zog viele Millionen Menschen in ihren Bann. In einer einzigartigen Teamleistung gelang es der SOKO Mirco nach 145 Tagen, den Täter zu ermitteln. Das Thema bewegte die Gesellschaft im In- und Ausland derart, dass der Regisseur Urs Egger dies zum Anlass nahm, diesen Fall nach dem Drehbuch von Fred Breinersdorfer und Katja Röder unter dem Titel „Ein Kind wird gesucht“ mit den Schauspielern Heino Ferch, Felix Kramer, Silke Bodenbender und Johann von Bülow zu besetzen und zu verfilmen.

Im Talk mit Jo geben der damalige Leiter Ingo Thiel und sein Stellvertreter Mario Eckartz interessante Einblicke in die Arbeit der SOKO.

Das Interview ist in Fortsetzungen hier zu lesen.

Die Protagonisten:

 

 

 

 

 

 

 

Der Erste Kriminalhauptkommissar Ingo Thiel ist 57 Jahre alt und seit 40 Jahren bei der Polizei. Davon hat er 26 Jahre im Mordbereich gearbeitet und ist derzeit Dozent für Vernehmungstaktiken und audiovisuelle Vernehmungen bei Tötungsdelikten am Landesamt für Aus- und Fortbildung in Nordrhein-Westfalen.

 

 

 

Der Erste Kriminalhauptkommissar Mario Eckartz, von den Kollegen Ecki genannt, ist 56 Jahre alt und erst später zur Polizei gekommen, weil er zehn Jahre als Zollbeamter beim Zollgrenzkommissariat in Kaldenkirchen seinen Dienst versah. Er hat in dieser Zeit die grüne Grenze zu Fuß, mit dem VW-Bus und dem Diensthund bestreift. 1991 ging er zur Polizei, weil im Zuge der politischen Veränderungen Grenzkontrollen nicht mehr erforderlich waren und begann noch einmal eine neue Ausbildung. Bei der Polizei Mönchengladbach hat er viele verschiedene Dienststellen durchlaufen und war letztendlich seit 2003 im KK 11 in Mönchengladbach tätig. Seit dieser Zeit hat er gemeinsam mit seinem ersten Mordkommissionsleiter und Freund, Ingo Thiel, in vielen Kommissionen zusammengearbeitet. Zurzeit verrichtet er seinen Dienst beim KK 23, der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle (KTU) beim Polizeipräsidium Mönchengladbach.

SOKO Mirco

Jo im Talk mit Ingo und Ecki

Was könnt Ihr den Lesern zum Aufbau, der Effektivität und zur Dauer der SOKO „Mirco“ sagen?

Ingo:
Das KK 11 der Hauptstelle des Polizeipräsidiums Mönchengladbach wurde am 04. September 2010 abends von der Polizei Viersen darüber informiert, dass ein Kind vermisst wurde. Es hatte bereits die üblichen Suchmaßnahmen gegeben, die bekanntlich erfolglos verlaufen sind. Sofort wurde eine 40köpfige Sonderkommission eingerichtet und wir suchten bereits am Sonntag mit vier Hundertschaften das gesamte Umfeld ab. Die Kommission wuchs zwischenzeitlich auf 80 Köpfe an, doch waren wir im Stamm durchschnittlich mit 65 Kolleginnen und Kollegen besetzt. Es war schon sensationell, dass wir von dem damaligen Leiter der Polizeihundertschaften, Polizeidirektior Benzenberg, von circa 1000 Kollegen bei den Suchmaßnahmen in den Feldern unterstützt wurden. Schließlich musste ein riesiges Areal von rund 55 Quadratkilometern abgesucht werden, was wir in der Kürze der Zeit sonst nicht geschafft hätten.

Ingo lächelt: Von der Effektivität der SOKO brauchen wir wohl nicht zu reden, schließlich war nach 145 Tagen der Täter ermittelt.

Die SOKO war vom 4. September 2010 bis zum 16. März 2011 vor Ort in Viersen. Anschließend war sie noch circa sechs Monate mit Vorbereitungen für die Hauptverhandlung beim Polizeipräsidium Mönchengladbach beschäftigt. Insgesamt bestand diese Kommission bis zum Abschluss für ungefähr ein Jahr. In dieser Zeit mussten wir uns durch knapp 10.000 Hinweise arbeiten und die Einsatzkräfte fanden mehr als 2.500 Beweismittel in einem Suchgebiet von knapp 55 Quadratkilometern.

Gab es während der Kommission Kritik von Behörden oder Kollegen wegen der langen Dauer der SOKO?

Ingo:
Schwierigkeiten hat eigentlich niemand gemacht. Die SOKO bestand aus 65 Leuten aus den unterschiedlichsten Dienststellen und es gab natürlich berechtigte Fragen, wie lange es voraussichtlich noch dauern würde. Hierbei sollte man wissen, dass die Arbeit der SOKO-Kollegen von den in den Dienststellen verbliebenen Beamten zusätzlich mit übernommen werden mussten und dadurch die Arbeitsbelastung für alle sehr hoch war. Bei unseren fortlaufenden Ermittlungen hatten wir unseren Spurenstamm schließlich zusammen und es gab von den Medien immer wieder Anfragen, wie der Stand der Ermittlungen sei. Ich habe in den Interviews und Statements ständig wiederholt, dass die Rückendeckung des Ministeriums über die gesamte Dauer der SOKO sensationell war.

Was war der schlimmste Fall in Eurer Karriere?

Ingo:
Keine Frage. Das ist der Fall Mirco. Ich möchte hier nicht von einem „schlimmsten Fall“ sprechen. Denn „Kind weg“ ist immer der „Worst case“. Natürlich war das der aufwendigste Fall. Das steht nicht in Frage.

Ecki:
Da schließe ich mich dem Ingo an. Hinzu kommt, dass Du nicht nur damit beschäftigt bist, in dieser Sache für eine Aufklärung zu sorgen, sondern es schwingt latent die Sorge mit, dass der Täter noch einmal zum Erfolg kommt. Es ist uns nicht gelungen, wie bei vielen anderen Tötungsdelikten, die erfahrungsgemäß mit einer hohen Aufklärungsquote belegt sind, zeitnah den Täter zu ermitteln. So gesehen bestand die Gefahr, dass er in dieser Zeit vielleicht ein weiteres Kind als Opfer nimmt. Mit dieser Erkenntnis klar zu kommen, war für die gesamte Kommission schwierig. Es war eine Herausforderung, unter dem Druck dieses Ermittlungsergebnis zu generieren und darum hebt dieser Fall sich deutlich von anderen Fällen ab. Deshalb ist es außergewöhnlich.

„SOKO Mirco“ - Was hat diese Kommission mit Euch, mit den Kollegen und den Familien gemacht?

Ingo:
Ich habe in einer Besprechung einmal gesagt, dass nach Mirco nichts mehr so ist, wie es vorher war. Und es ist tatsächlich so. Als Leiter dieser SOKO Mirco stehst Du noch mehr im Fokus als andere. Ich habe daraus nie einen Hehl gemacht und immer wieder betont, dass wir alle ein Team sind. Allerdings wirst du auch heute immer noch darauf angesprochen. Du bekommst mit, wenn sich Leute über dich unterhalten. Dann kommen Sprüche wie: „Das ist der Kommissar von Mirco!“ oder „Das ist der Kommissar, der den Fall damals geklärt hat!“. Die ganze Öffentlichkeit reagiert durchweg sehr respektvoll und freundlich. Da hat sich schon viel geändert. Man muss aber auch sagen, dass dies im kleineren Kollegenkreis oftmals nicht so gewesen ist. Nach meinen Presseterminen kamen Sprüche wie: „Was bläst der sich so auf, dass stimmt gar nicht!“. Was viele wahrscheinlich nicht zuordnen konnten war die Tatsache, dass wir dies in der Öffentlichkeit ja auch geschürt haben, damit der verschwundene Junge „Mirco“ nicht in Vergessenheit gerät und man nicht nach einiger Zeit zur Tagesordnung zurückkehrt. Man muss einfach einmal feststellen, wie hoch das Interesse der Öffentlichkeit durch unsere Arbeitsweise an diesem Fall war. Genau das haben wir ja auch gewollt und geschafft. Die Öffentlichkeit sollte immer unser zwölfter Mann auf dem Platz sein. Das war unser Ziel zum Erfolg zu kommen. Dieser gibt uns letztendlich recht.
 
Ecki:
Ich habe im Nachgang schon festgestellt, dass einige Kollegen mit dieser Belastung, die durchaus in dieser Zeit stattgefunden hat, nicht so gut klarkamen. Das hat mein Augenmerk dahingehend geschärft, in den folgenden Jahren auf Kollegen, die solch eine Kommission besetzen, mehr zu achten. Das wir aufeinander ein Stück weit aufpassen. Ein wesentliches Kriterium war, dass wir ganz offen darüber sprechen konnten. Zu früheren Zeiten pflegte man ein anderes Mantra. Man sprach als Mann nicht über Dinge, die einen belasten. Ich bin froh, in der „Heutezeit“ zu leben, in der man sich mit seinen Problemen, die einem im Kopf herumgehen, an jemanden wenden und sich diese Dinge frühzeitig von der Seele sprechen kann. Das hat es in der Kommission immer gegeben. Im Nachgang haben wir beide festgestellt, dass es einige Kollegen doch ärger getroffen hat, als man es absehen konnte. Das hat uns in der Folgezeit in anderen Kommissionen dazu gebracht, noch feinfühliger auf solche Reaktionen zu reagieren. Die SOKO Mirco war deshalb etwas besonderes, weil sie von der Intensität, der Größe, der Art der Ermittlungen und den Gesamtumständen alle Beteiligten unter einen enormen Druck setzte. Aber es gab in der Folgezeit sicherlich auch Fälle, bei denen Säuglinge Opfer waren, die einen emotional fast noch intensiver mitgenommen haben. Insbesondere wenn man einen engen Kontakt zu Angehörigen hatte oder wenn man in der Vernehmung vom Täter den Sachverhalt detailgetreu geschildert bekam. Die SOKO Mirko war eben ein besonderer Fall. In seiner Struktur einzigartig. Wenn ich ehrlich bin, brauche ich das auch nicht wieder.

Am 4. September 2010 wurde der Vermisstenfall eines Jungen zur SOKO Mirco. Wie begann dieser Tag für Euch?

Ingo:
Der Tag begann eigentlich super. Alles war sehr entspannt und ich war dabei, das Abendessen vorzubereiten, als die Kriminalwache Mönchengladbach anrief und mir mitteilte, dass in Viersen ein Junge weg sei und wir uns dort melden sollten. Ich habe Ecki angerufen und wir sind nach Viersen gefahren, um uns einen Überblick zu verschaffen. Wir waren gegen 22.3o Uhr dort. Hier erfuhren wir, dass der Junge zu diesem Zeitpunkt bereits über 24 Stunden verschwunden war. Wir haben an diesem Abend noch entsprechende Vorbereitungen für den Folgetag auf den Weg gebracht. Auf Grund der Dunkelheit war zu diesem Zeitpunkt auch nichts anderes mehr möglich. Es war ein besonderes Wochenende, denn in Nettetal fand die Großveranstaltung „WDR 2 für eine Stadt“ mit über 20.000 Besuchern statt. Der polizeiliche Einsatzleiter dieser Veranstaltung hat uns noch über 200 Einsatzkräfte zur Unterstützung angeboten. Zur Nachtzeit brachte es uns nicht weiter, zudem hatten diese Maßnahmen bereits stattgefunden und in der Dunkelheit wären weitere Suchmaßnahmen sicherlich nicht erfolgreich gewesen. Gut war, dass wir an diesem Abend noch das Fahrrad von dem Jungen bekamen. Der Finder des Rades war durch Lautsprecherdurchsagen der Polizei aufmerksam geworden, hatte sich gemeldet und es übergeben. Er hatte es am Abgreifort gefunden, also dem Ort, wo der Junge auf den Täter getroffen war, der ihn in seinen Wagen zog und das Rad des Kindes zurückließ. In dieser Nacht haben wir uns noch logistisch aufgestellt und Vorbereitungen für den nächsten Tag getroffen. Das heißt wir haben Kräfte bei den einzelnen Dienststellen angefordert, so dass wir am Folgetag mit mindestens 40 Leuten an den Start gehen konnten. Außerdem erhielten wir auch noch drei Hundertschaften zur Unterstützung. Das war mit großen Schwierigkeiten verbunden, da am ersten Septemberwochenende in Dortmund mit Ausschreitungen und Krawallen von Rechten und Linken zu rechnen war. Parallel zu allen Maßnahmen informierten wir noch in der Nacht die Staatsanwaltschaft über den Sachverhalt. Auch die Operative Fallanalyse (OFA) oder besser als Profiler bekannt, wurde schon zu diesem Zeitpunkt darüber informiert, dass wir einen Jungen weghatten und teilten ihnen mit, dass es sich hier wahrscheinlich um einen „Worst Case“ handelt und wir dabei Unterstützung benötigen.

Ecki:
Bei solchen Delikten, die als Vermisstenfall beginnen, gibt es in der Regel mehrere Szenarien. Bei der ersten Möglichkeit sucht man im nahen Umfeld, ob sich das Kind auf Grund einer Streitigkeit versteckt haben könnte. Dies konnte aber ausgeschlossen werden. Weil das Fahrrad des Jungen unbeschädigt aufgefunden wurde, war auch eine mögliche Unfallhypothese vom Tisch, so dass sich dieser Fall schon ganz am Anfang dahin entwickelte, dass hier ein Gewaltdelikt vorlag. Deshalb war es schon zu diesem frühen Zeitpunkt logistisch erforderlich, für ein solches Szenario zu planen.

Wann wusstet Ihr, dass Mirco einer Straftat zum Opfer gefallen war?

Ingo:
Wir befürchteten es direkt an diesem Abend.

Als wir die Fakten auf dem Tisch liegen hatten, sagte ich, der Junge ist weg und kommt nicht mehr wieder.

Ecki:
Es war schon erstaunlich. Wir haben an diesem Abend mit den Kollegen gesprochen, die alle in irgendeinem Teilbereich an diesem Vermisstenfall gearbeitet hatten und fragten sie, wer davon ausgeht, dass der Junge noch lebt. Alle schwiegen und schauten betroffen zu Boden.

In diesem Moment war wirklich schon klar, dass wir hier nicht nach einem Kind suchten, dass sich verlaufen hatte, sondern nach einem Jungen, der einer Straftat zum Opfer gefallen war.

Es gingen knapp 10.000 Hinweise bei der SOKO ein. Doch einige Spuren waren besonders, wie das Rad oder die Bekleidung von Mirco, Militärjets die Spuren suchen und nicht zu vergessen ein Zeuge, der in der Dunkelheit einen Passat erkannte. Was war so besonders an diesen Spuren?

Ingo:
Diese Gegenstände waren Teile in einem großen Mosaik, das zu einem Bild werden sollte. Dinge, die in ihrer Bedeutung aufeinander aufbauten. Wir wollten im Grunde nichts unversucht lassen. So haben wir sehr viele Tipps und Hinweise bekommen. Auch Ideen aus der eigenen SOKO wurden nach Möglichkeit umgesetzt. So etwas dient natürlich auch dazu, das „Wir-Gefühl“ zu stärken, denn jeder Einzelne war Teil dieser Mannschaft. Die Suchmaßnahmen haben zwar nicht dazu geführt, dass der Junge gefunden wurde, sie führten aber dazu, dass der Fall geklärt wurde. Wir haben alle Gegenstände von Mirco gefunden, ein Verteilmuster dieser Gegenstände gesehen und die OFA beteiligt, um nochmals jede Spur auszuleuchten. Auch die regelmäßige Information der Öffentlichkeit durch unseren Pressesprecher Willy Thevissen hat zu einer großen Akzeptanz in der Bevölkerung geführt, denn sie hat mitgemacht!

Unser wichtigster Zeuge, der diesen Passat beobachtete, meldete sich bereits einen Tag später bei uns und schilderte seine Beobachtungen. Er hatte richtig Ahnung von Fahrzeugen und war davon überzeugt, den richtigen Wagen gesehen zu haben. Unsere Aufgabe bestand nun darin, die aufgefundenen Gegenstände mit den objektiven Tatbeständen zusammenbringen.

Wir mussten bestätigen, dass die gefundenen Kleidungsstücke von Mirco waren.

Wir mussten anhand der Kleidung bestätigen, dass er in einem Passat gesessen haben könnte, was uns auch sechs Wochen später gelang.

Dies führte dazu, dass wir am 18. Oktober 2010 mit dem Ergebnis an die Öffentlichkeit gehen konnten, dass es genau so ein Passat war, den wir suchten.

So haben sich die Ermittlungsergebnisse nacheinander aufgebaut. Ich kann mich noch genau an den Satz eines Kollegen erinnern, der lautete: „Besorge mir alle Bilder von der Erde bis zum Mond!“ Er kam auf die Idee, einen ihn bekannten Politiker anzusprechen, der wiederum den damaligen Verteidigungsminister kannte, um auf diesem Wege Jets der Bundeswehr einzusetzen, um mit entsprechender Technik nach dem Jungen zu suchen.

Die Idee war gut, nur der organisatorische Aufwand sehr hoch. Bis alle Verantwortlichen zugestimmt hatten, war durch den zeitlichen Versatz der Erfolg negativ beschieden.
Durch diese Ermittlungsarbeit des Teams konnte das Mosaik immer weiter zusammengesetzt werden, was letztendlich dazu führte, dass wir später den Mörder präsentieren konnten.

Ecki:
Wir haben zusammen mit den Profilern das Ermittlungskonzept und auch das Medienkonzept erstellt.

Es war uns immer wichtig, über dieses Medienkonzept tatsächlich auch die Bevölkerung mitzunehmen und unsere Maßnahmen, die immer die Menschen tangierten, transparent zu gestalten.

Ingo und ich haben uns selber einmal ein Spurenpaket geben lassen. Wir haben Passatbesitzer aufgesucht, um ihre Fahrzeuge abzukleben und nach Faserspuren zu suchen, so wie es unsere Kollegen tagtäglich machten. Dabei haben wir festgestellt, dass wir bei den Leuten für unsere Arbeit auf eine unglaublich hohe Akzeptanz stießen. Ich denke, dass es uns tatsächlich mit diesem Medienpaket gelungen ist, die Menschen von der Notwendigkeit unserer Maßnahmen zu überzeugen und die Suche nach dem verschwundenen Jungen auch zur Sache der Bevölkerung zu machen.

Es war nicht so, dass die Fahrzeughalter sich als Verdächtige gefühlt haben, sondern durch ihre Akzeptanz dazu beitragen konnten, dass ihr Auto aus dem großen Fundus herausfiel und am Schluss das Täterauto übrigbleiben konnte.

Ich habe in den vergangenen Jahren schon viele polizeiliche Maßnahmen vertreten und umgesetzt. Es war schon bewundernswert, eine solche Akzeptanz für unsere Arbeit bei den Leuten zu erfahren.

Wir haben die Freundlichkeit und das Entgegenkommen der Menschen erlebt. Dies hat uns als SOKO in der Arbeit beflügelt und uns gleichzeitig bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg waren mit dem Ziel, den Täter zu überführen.

Wie war für Euch der Umgang mit der Familie insbesondere den Eltern von Mirco?

Ingo:
Es war von Anfang bis heute ein sehr respektvoller Umgang mit der Familie des Jungen. Trotz dieser schrecklichen Ereignisse haben die Eltern auf den polizeilichen Rat gehört. Am Anfang war es etwas befremdlich für mich, wie die Familie mit uns umging. Das wussten die Eltern auch. Es sind sehr religiöse Menschen, die der freien evangelischen Kirche angehören. Es ist eine starke Glaubensgemeinschaft. Ich bin nicht der Kirchgänger, wie er im Buche steht, aber das Verhalten dieser Menschen hat mir schon imponiert. Ich habe in meiner Dienstzeit erlebt, dass die Eltern eines verschwundenen Kindes sich nur noch um das Opfer sorgten und die anwesenden Kinder absolut allein ließen und vernachlässigten. Wir haben in diesem Fall den Eltern gesagt, dass wir uns um Mirco kümmern werden und sie auf ihre drei Kinder achten und auf sie aufpassen sollen. Diesen Rat haben sie auch befolgt. Sie hielten sich aber auch an unsere Abmachungen, indem sie nicht mit der Presse korrespondierten, um vielleicht Irritationen oder andere Ideen in den Fall zu bringen.

Ecki:
Ich habe mir sehr oft Gedanken gemacht, wie ich reagieren würde, wenn mein Kind weg wäre und der Polizeiapparat ermittelt in dieser Sache. Da Geduld nicht zu meinen obersten Tugenden gehört, wäre ich sehr oft bei der Kommission vorstellig geworden. Ich hätte jeden Tag gebetsmühlenartig gefragt, wie weit die Ermittlungen wären oder hätte schlaue Vorschläge gemacht, wie man besser vorgeht. Deshalb war ich überrascht, wenn die Familie des Jungen Kontakt zu uns aufnahm und sie sich in erster Linie bei uns bedankten, dass wir all das für ihren Jungen und für ihre Familie taten. Sie dankten uns, dass dieser riesige polizeiliche Apparat für ein einfaches Arbeiterkind angelaufen war und unermüdlich arbeitete. Das hat mich beschämt.

Ingo:
Ich kann mich erinnern, dass die Mutter sagte: „Der Mirco ist doch kein Jakob von Metzler“. Wir haben natürlich sofort erklärt, dass wir diese Arbeit für jeden Menschen machen. Das dies selbstverständlich sei. Ich versuchte ihr zu erklären, dass es unsere Aufgabe sei und wir das auch gerne tun, weil wir unseren Job ernst nehmen und professionell ausüben.

Ecki:
Es hat mich eigentlich kleinlaut werden lassen, so lange mit leeren Händen dazustehen. Ich habe es immer so empfunden, dass wir stets mit so viel Vorschusslorbeeren und Vertrauen beschenkt wurden und diesen ehrbaren Leuten es 145 Tage lang nicht zurückzahlen konnten. Es war sehr belastend. Ich hätte eher damit umgehen können, wenn mich einmal jemand beschimpft und gefragt hätte, warum es nicht schneller geht. Aber das Gegenteil war der Fall. Diese Menschen hatten mit uns eine „Engelsgeduld“ und sie haben uns auch dadurch gepuscht. Es war wirklich ein immenser Ansporn für uns, dass diese Menschen uns ein solch großes Vertrauen schenkten.

Euer wichtigster Zeuge war ein junger Mann, der am Abgreifort von Mirco einen Passat erkannte. Wieso konntet Ihr seiner Aussage von Anfang an vertrauen?

Ingo:
Zunächst einmal hat sich der Zeuge spontan gemeldet, bevor es eine Öffentlichkeitsarbeit gab. Er kam zu uns, obwohl es keine Belohnung gab. Er wollte helfen, er stand mitten im Leben und hatte ein sensationelles Autoverständnis und eine gute Auffassungsgabe. Natürlich ist er von der Kommission auf Herz und Nieren geprüft worden. Denn jeder kann sich vorstellen, dass ich eine Aussage nicht einfach veröffentlichen kann, ohne sie abzuprüfen. Deshalb hat es auch knapp sechs Wochen gedauert, bis wir von einem Passat B 6 ausgegangen sind. Von der Presse wurde von Anfang an gesagt, es würde ein dunkler Kombi gesucht. Diese Aussage ist von der SOKO von vornherein nie gemacht worden. Es war eben auch kein dunkler Kombi und unser Zeuge hat sich auch nicht von der Farbe her, sondern nur vom Typ festgelegt. Wir haben bei ihm eine Aussageprüfung von einem Aussagepsychologen aus Hamburg in Auftrag gegeben. Wir haben Tests mit ihm gemacht und Fahrzeuge unter gleichen Bedingungen dort abgestellt, um seine Aussage zu verifizieren. Es war wirklich ein „TOP-Zeuge“. Er war in der Lage 1:1 die verschiedenen Fabrikate zu erkennen. Es war nur schade, als zwei Wochen später eine Belohnung für sachdienliche Hinweise ausgelobt wurde und dem Zeugen diese später nicht zugesprochen werden konnte, denn sein Hinweis kam vor der Auslobung. Der Betrag war nicht gerade niedrig und der junge Mann hätte das Geld wirklich gut gebrauchen können. Wie sich später bestätigte, hat er am Tatabend genau das Täterfahrzeug am Abgreifort gesehen. Wir haben ihn nicht umsonst immer unseren „Topzeugen“ genannt.

Ecki:
Ich habe den Zeugen vernommen und die Kunst der Vernehmung besteht nicht darin, die richtigen Fragen zu stellen, sondern bei den Schilderungen gut zuzuhören und dies auch aufzuschreiben, damit Aussagepsychologen auch eine entsprechende Bewertung stattfinden lassen können. Diese Aussage enthielt sehr viel Lebenshintergrund und absolut Erlebtes. Die uns von ihm generierten Ansätze wurden auf das Genaueste abgeprüft. Es wäre fatal gewesen, zu schnell mit dem Hinweis an die Öffentlichkeit zu gehen, dass ein Passat gesucht wird. Wenn er sich geirrt hätte und es ein Opel gewesen wäre, hätte sich kein Zeuge mehr gemeldet, selbst wenn er den Opel gesehen hätte, weil er dachte, die Polizei sucht einen Passat. In dieser Hinsicht muss man sich ganz sicher sein, insbesondere wenn man ein solches Medienkonzept fährt, wie wir das gemacht haben. Auf dieser Basis mussten natürlich weitere Funde abgestimmt werden, die wir parallel machten und wir konnten sie schließlich dahingehend verifizieren. Das hört sich jetzt so leicht an, dass man denkt, es wird ein textiler Gegenstand gefunden und man kann darauf Fasern einer Polstergarnitur feststellen, die in diesem Wagen war. Das ist jetzt mal eben schnell und flüssig erzählt. Das hat aber sechs Wochen gedauert, um dies befundmäßig so zu erhärten, dass es eine belastbare und tragfähige Spur war. Dies brauchte einige Zeit, es brauchte viel Wissenschaft und benötigte auch eine gute Zusammenarbeit mit dem VW-Konzern. Hier möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit nochmals bedanken. VW hat uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Ein Ermittlungsteam der SOKO hat sich im Konzern fast eine Woche aufgehalten. Wir haben sämtliche Polstervarianten als Proben erhalten, damit wir diese im kriminaltechnischen Institut vom Landeskriminalamt untersuchen konnten und tatsächlich auch dann die Aussage des Zeugen und das vorgefundene Spurenbild deckungsgleich übereinander zu bringen.

Fortsetzung folgt   !

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Kommentare: 2
  • #1

    Arndt Henriette (Donnerstag, 03 September 2020 18:25)

    Vielen Dank

  • #2

    Dülpers Anneliese (Freitag, 04 September 2020 07:39)

    Vielen Dank,
    gute Arbeit