Jo im Talk mit dem Galeristen Manfred Jülicher

Manfred Jülicher arbeitete sein Leben lang als Sonderpädagoge, Galerist, Künstler, Kommunalpolitiker und Publizist. Im Interview spricht er über seine Tätigkeit als Pädagoge, sein großes Kunstverständnis, die „Galerie Jülicher“ und erzählt dem Leser von namhaften Künstlern, die in seinen Räumen ein- und ausgingen. Anlässlich seines 80. Geburtstags präsentiert Manfred Jülicher das von Sigrid Blomen-Rademacher gestaltete Buch „… leben in seiner Zeit“.

Herr Jülicher, erzählen Sie dem Leser einige Worte zu sich und dem Sonderpädagogen, dem Galeristen, dem Künstler, dem  Kommunalpolitiker und Publizisten.

Ja, das mache ich gerne. Schon als Schüler war es ein Wunsch von mir, Erzieher zu werden und mein Kunstlehrer Friedrich Achterfeld begeisterte mich schon in jungen Jahren für Kunstgeschichte und Kunst. Ich studierte an der PH Aachen für das Lehramt an Volksschulen Kunstgeschichte und Werken. Dabei setzte ich mich erstmals intensiv mit Druck-Verfahren auseinander. Nach dem Studium begann ich meine erste Lehrertätigkeit als Volksschullehrer in Niederkrüchten und wurde zwei Jahre später Schulleiter in Schwaam. Nach weiteren Studien am HPI der Uni Köln machte ich das Staatsexamen und begann als Sonderschullehrer meine Lehrertätigkeit in Wegberg. Parallel zu dieser Tätigkeit besuchte ich das städtische Werkseminar in Düsseldorf, unter der Leitung von Professor Erwin Heerich. 1963 baute ich das bis heute genutzte Galeriehaus in Gützenrath, bei dem Markus Lüpertz einige Wandelemente gestaltete. Neben meiner Lehrtätigkeit wurde ich durch den Landtagsabgeordneten Dr. Karl Fell für die Kommunalpolitik geworben und war auch Mitglied der „Jungen Union“. Zu dieser Zeit entstanden übrigens auch meine ersten Bücher.

Sie arbeiten Ihr Leben lang als Sonderpädagoge. Was hat Sie mehr geprägt? Ihr pädagogischer Beruf oder die Tätigkeit als Galerist und Künstler?

Im Prinzip ist für mich die Arbeit als Sonderpädagoge, Galerist und Künstler identisch. Ich würde meine kommunalpolitische Tätigkeit noch hinzuziehen. Jedes der beruflichen Arbeitsfelder war eine pädagogische Herausforderung. Es ging und geht mir stets um die Förderung der Menschen und um die Forderungen in der Sache.

Wie kamen Sie auf die Idee, Galerist zu werden?

Das war ursprünglich nie meine Absicht. Als ich am 21. Mai 1966 im Museum Trier eine Ausstellung mit Holzschnitten von HAP Grieshaber besuchte, wusste ich, dass meine Grafiken nach Kirchner, Marcks, und Mataré bedeutungslos bleiben würden. So endeten meine Ambitionen, die bereits unter F. Achterfeld erstellten Holzschnitte weiter zu entwickeln. Daher schloss ich mich der sich 1965 neuformierenden, zunächst noch unbekannten Künstlergruppe an, die sich zu dieser Zeit in Mönchengladbach bildete.

1965 wurde die „Galerie Jülicher“ als gemeinnütziger Verein gegründet. Erzählen Sie uns davon.
 
Die sich 1965 formierenden Künstler waren F. Borchard, P. Hillenbrand, D. Holmgren, M. Jülicher, K. Keer, G. Melai, J. Mörs, B. Peters, H. Pöhler, und P. Trude. Unser Ziel war die wechselseitige Ausstellung eigener Arbeiten in einer neu zu schaffenden Galerie, in der damals auf dem Alten Markt in Mönchengladbach leerstehenden Bauhalle der Firma Manns. Jeweils am Jahresende sollten dann alle Künstler gemeinsam an einer Gruppenausstellung teilnehmen, um die weitere Entwicklung jedes einzelnen Künstlers zu dokumentieren.
Der Name „Galerie Jülicher“ entstand, weil ich in dieser Gruppe von Künstlern zu diesem Zeitpunkt als einziger einen „Brot-Job“ als Lehrer hatte und dank meines Einkommens die Galerie finanzieren konnte. Im Januar 1965 wurde die „Galerie Jülicher“ per Satzung als gemeinnützig arbeitender Verein anerkannt. Die Idee „Galerie Jülicher“ war geboren, ein Markenzeichen aus der Taufe gehoben. Seitdem setzte ich mich ein, „junge Künstler“ auszustellen. Die Galerie existiert seit 1965, nur die Adressen, unter denen sie ansässig war, veränderten sich. 1965 (Alter Markt). 1966 (Wallstr. 4 und Hindenburgstr. 170 in Mönchengladbach). 1968 (Theatergalerie). 1972-1975 (Galerie HS in Erkelenz). 1975-2004 (Galerie im Mühlenturm Amern). 1999–2005 (Galerie in Haus Hansen Elmpt) und seit 1965 in Gützenrath, wo ich viele Künstler, wie Bernd Koberling, Markus Lüpertz, Adolf Luther, Siegfried Cremer, Hermann Göpfert, Raimund Girke, Heiko Tappenbeck, Peter Roehr, Ewert Hilgemann, Christian Megert, gruppe x, Hermann de Vries, Frans
Peeters, Takis, Fritz Köthe, Ingo Wegerl und viele mehr ausstellen durfte.

Sie haben in Ihren Galerien sehr namhafte Künstler wie Günther Uecker, Professor Josef Beuys und Heinz Mack, um nur einige zu nennen, empfangen. Erzählen Sie dem Leser von diesen Menschen.

Als ich im September 1967 die Schaumstoffhöhle von Ferdi Spindel in Mönchengladbach ausstellte, wurde am gleichen Tag der Kunstmarkt in Köln und die Beuys Ausstellung eröffnet. Anschließend kamen über 300 Gäste, wie Josef Beuys, Günther Uecker, Heinz Mack, Galerist Schmela aus Düsseldorf, Galerist Zwirner (Köln), Monsignore Mauer aus Wien und zahlreiche Museumsdirektoren, um die Schaumstoff Objekte von Spindel zu begutachten. Die Schriftstellerin Ruth Schmidt-Heinisch sprach in Ihrer Einführungsrede über die Spindel Objekte von der soziologischen Bedeutung von Ausstellungs- Eröffnungen, die angenehme, vom Alltag lösende Treffpunkte seien.

Um als Galerist arbeiten zu können, bedarf es ein großes Verständnis für Kunst, dass Sie durch Ihr Studium in Kunstwissenshaften und durch Ihre Arbeit als Künstler erlangten. Berichten Sie dem Leser davon.

Ich habe mich seit meiner Schulzeit für Kunst und Kunstgeschichte interessiert. Mein Studium an der
PH Aachen war begleitet von der Fachrichtung Kunst und Werken. Sowohl in Köln an der Uni als auch an der RWTH hatte ich Denkmalpflege und Kunstgeschichte belegt. Um aber als Galerist erfolgreich zu sein, muss man sich für ein Kunstkonzept entscheiden und das dann auch konsequent präsentieren. Und das war für mich die „aktuelle Kunst“ der 60er Jahre. Dieses Konzept wurde von zahlreichen Künstlern kreiert und war vor allem auch noch bezahlbar. Ich habe mich im Laufe der Zeit mit den aktuellen Kunsttendenzen beschäftigt und versucht, die entsprechenden Informationen zu finden und zu verinnerlichen. „Aktuelle Kunst“ zu zeigen war für mich auch immer eine pädagogische Aufgabe. Wenn man sich über sechs Jahrzehnte mit der eigenen Kreativität ebenso wie als Galerist mit Kunst befasst, dann muss man sich auch im Klaren sein, was man selbst als Kunst versteht. Mein Grundsatz lautete: Man kann in der Kunst nichts kreieren, was bereits Künstler vorher geschaffen haben. Kunst ist und war für mich immer etwas originär Schöpferisches, im Ursprung etwas Einmaliges. Kunst ist für mich immer an Innovation gebunden. Wenn ein Kunstwerk z. B. in Anlehnung an eine bestehende Kunstrichtung entstanden ist, sozusagen als veränderte Kopie, dann habe ich solche Arbeiten immer als Plagiat gesehen und für mögliche Kunst Ausstellungen abgelehnt.

Ihre Kunst bewegt sich um Papier, Karton und Schnitztechniken. Erklären Sie dem Leser diese Kunstrichtung.

Als ich 2006 pensioniert wurde, habe ich meine letzte Kunstausstellung in meinem Haus in Gützenrath gezeigt und mich gefragt, ob es für mich einen neuen Ansatz geben kann, meine frühere künstlerische Tätigkeit wieder aufzunehmen. Aus der Erfahrung und mit dem Wissen meiner 60jährigen Tätigkeit habe ich versucht eine eigene Bildsprache zu entwickeln. Ich entwickelte über den Prozess des experimentellen Arbeitens und unter Zuhilfenahme des gelenkten Zufalls in einer sich logisch aufbauenden Entwicklung Arbeiten aus Worten, gedruckten Texten, aus Zeitungen, Prospekten. Ich collagierte akribisch ausgeschnittene Textfragmente zu- und miteinander, wobei es nicht auf die Lesbarkeit von Worten ankommt, sondern auf die grafische Anmutung der schwarz auf weiß gedruckten Lettern.
Ausgehend von den Textspuren löste ich die starren Formen auf und brachte sie in Bewegung. Um 2014 entstanden die Papermades als Bildobjekte, Mischtechniken und übermalte Textspuren in unterschiedlichen Kompositionen. Später benutzte ich Verpackungsmaterial, aus dem ich die zuletzt entstandenen Pasteboard Cuts und Skulpturen aus geschichtetem Karton entwickelte. Ein Jahr später entstanden die Foto-Grafiken. Mit der Kamera werden kleine Ausschnitte aus meinen Papierarbeiten im Detail festgehalten, im Format Din A4 kopiert und mit Bleistift und Kugelschreiber bearbeitet. Das Ergebnis wird erneut fotokopiert. In einem nächsten Schritt werden Textspuren hinzugefügt. Dieses mehrfach bearbeitete Resultat wird erneut fotografiert auf Fotoleinwand übertragen.

Erzählen Sie uns von der Galerie Jülicher in Gützenrath.

Die Bedeutung dieses Hauses wurde in den vorigen Fragen schon mehrfach dargestellt. Zu erwähnen sei noch, dass ich dieses Haus bereits 1963 mit 22 Jahren gebaut habe und immer noch bewohne. Ein Galeriehaus, ein Wohnhaus, ein Ruhepol, ein kreatives Zuhause, Ort der Zusammenkünfte für Freunde, Musiker, Künstler und Nachbarn, gelegen in einem idyllischen Grundstück.

Wie ist es Ihnen während der Corona-Pandemie ergangen?

Für mich ist die Pandemie eine geruhsame Zeit, mich wieder verschiedenen Publikationen zu widmen. Seit Jahren beschäftige ich mich mit persönlichen Themen, die ich inhaltlich bereits zu Papier gebracht habe. Ein Buch, das mir schon lange zur Bearbeitung vorliegt, wird sicherlich bald fertig werden. Arbeitstitel: Kommt Zeit – kommt Gott.
Außerdem freue ich mich, dass die Kunsthistorikerin Sigrid Blomen-Radermacher mir zu meinem 80. Geburtstag eine Biografie geschrieben hat, die nun seit Anfang des Jahres vorliegt und zu einem noch Subskriptionspreis von 29 € gekauft werden kann.

Welche Werte sind für Sie wichtig?

Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Pünktlichkeit, Optimismus, Teamwork!

Was war bisher das Schönste, das Ihnen in Ihrem Leben passiert ist?

Wenn Sie mich heute fragen, was das bisher Schönste, Aufregendste und Bemerkenswerteste war, das in meinem Leben passiert ist, dann war es das Zusammentreffen mit meiner Ehefrau vor 37 Jahren.

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